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Interview – Mit Data Science Kundenverhalten vorhersagen

Frau Dr. Eva-Marie Müller-Stüler ist Associate Director in Decision Science der KPMG LLP in London. Sie absolvierte zur Diplom-Mathematikerin an der Technischen Universität München, mit einem einjährigen Auslandssemester in Tokyo, und promovierte an der Philipp Universität in Marburg.

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“Interview – Using Decision Science to forecast customer behaviour”

Data Science Blog: Frau Dr. Müller-Stüler, welcher Weg hat Sie bis an die Analytics-Spitze der KPMG geführt?

Ich hatte schon immer viel Spaß an analytischen Fragestellungen, aber auch ein großes Interesse an Menschen und Finance. Die Frage wie Menschen ticken und Entscheidungen treffen finde ich unglaublich spannend. Im Mathematikstudium und auch bei der Doktorarbeit kamen dann das Auswerten von großen Datenmengen und das Programmieren von Algorithmen hinzu. Die solide mathematische Ausbildung kombiniert mit dem spezifischen Branchen- und Finanzverständnis ermöglicht es mir das Geschäftsmodell meiner Kunden zu verstehen und Methoden zu entwickeln, die den Markt verändern und neue Wege finden.

Data Science Blog: Welche Analysen führen Sie für Ihre Kundenaufträge durch? Welche Vorteile generieren Sie für Ihre Kunden?

Unser Team beschäftigt sich hauptsächlich mit Behaviour und Customer Science. Daher auch der Slogan „We understand human behaviour and we change it“. Unser Focus ist der Mensch (z.B. Kunde oder der Mitarbeiter) und die Frage, wie wir ihn durch das Verständnis seiner Datenartefakte im Verhalten ändern bzw. zukünftiges Verhalten vorhersagen können. Auf dieser Basis entwickeln wir Always-on forecasting Modelle, die es dem Mandanten ermöglichen, bereits im Vorfeld zu agieren. Das kann z.B. bedeuten, durch ortgenaue Informationen spezifische Kundennachfrage an einem bestimmten Standort vorherzusagen, wie sie verbessert oder in die gewünschte Richtung beeinflusst werden kann oder durch welche Maßnahmen bzw. Promotions welcher Kundentyp optimal erreicht wird. Oder auch die Frage wo und mit welcher Produktmischung am besten ein neues Geschäft eröffnet werden soll, ist mit Predictive Analytics viel genauer vorherzusagen als durch herkömmliche Methoden.

Data Science Blog: Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit prädiktive Analysen für Kundenverhalten adäquat funktionieren?

Die Daten müssen natürlich eine gewisse Qualität und Historie haben um z. B. auch Trends und Zyklen zu erkennen. Oft kann man sich aber auch über die Einbindung neuer Datenquellen einen Vorteil erschaffen. Dabei ist Erfahrung und Kreativität enorm wichtig, um zu verstehen was möglich ist und die Qualität verbessert oder ob etwas nur für mehr Rauschen sorgt.

Data Science Blog: Welche externen Datenquellen müssen Sie dafür einbinden? Wie behandeln Sie unstrukturierte Daten?

Hier in England ist man – was externe Datenquellen angeht – schon sehr verwöhnt. Wir benutzen im Schnitt an die 10.000 verschiedene Signale, die je nach Fragestellung unterschiedlich seien können: z. B. die Zusammensetzung der Bevölkerung, Nahverkehrsinformationen, die Nähe von Sehenswürdigkeiten, Krankenhäusern, Schulen, Kriminalitätsraten und vieles mehr. Der Einfluss eines Signals ist bei jedem Problem unterschiedlich. So kann eine hohe Anzahl an Taschendiebstählen ein Zeichen dafür sein, dass in der Gegend viel los ist und die Menschen im Schnitt viel Bargeld bei sich tragen. Das kann z. B. für einen Fast Food-Retailer in der Innenstadt durchaus einen positiven Einfluss auf sein Geschäft haben in einer anderen Gegend aber das Gegenteil bedeuten.

Data Science Blog: Welche Möglichkeiten bietet Data Science für die Forensik bzw. zur Betrugserkennung?

Da jeden Kunden tausende Datensignale umgeben und er durch sein Verhalten weitere produziert und aussendet, kann man gerade beim Online-Geschäft schon ein ziemlich gutes Bild über die Person bekommen. Jede Art von Mensch hat ein gewisses Verhaltensmuster und das gilt auch für Betrüger. Diese Muster muss man nur rechtzeitig erkennen oder vorherzusagen lernen.

Data Science Blog: Welche Tools verwenden Sie bei Ihrer Arbeit? In welchen Fällen setzten Sie auf proprietäre Software, wann hingegen auf Open Source?

Das hängt vom Arbeitsschritt und dem definierten Ziel ab. Wir unterscheiden unser Team in unterschiedliche Gruppen: Unsere Data Wrangler (die für das Extrahieren, Erzeugen und Aufbereiten der Daten zuständig sind) arbeiten mit anderen Tools als z. B. unsere Data Modeller. Im Grunde umfasst es die gesamte Palette von SQL Server, R, Python, manchmal aber auch Matlab oder SAS. Immer häufiger arbeiten wir auch mit auf Cloud-Technologie basierenden Lösungen. Data Visualisation und Dashboards in Qlik, Tableau oder Alteryx geben wir in der Regel jedoch an andere Teams weiter.

Data Science Blog: Wie sieht Ihrer Erfahrung nach der Arbeitsalltag als Data Scientist nach dem morgendlichen Café bis zum Feierabend aus?

Meine Rolle ist vielleicht am besten zu beschreiben als der Player-Coach. Da läuft von allem etwas mit ein. Am Anfang eines Projektes geht es vor Allem darum, mit den Mandaten die Fragestellung zu erarbeiten und das Projekt zu gewinnen. Teil dessen ist auch neue Ideen und Methoden zu entwickeln.  Während eines Projektes sind das Team Management, der Wissenstransfer im Team, der Review und das Hinterfragen der Modelle meine Hauptaufgaben. Am Schluss kommt dann der endgültige Sign-off des Projektes. Da ich oft mehrere Projekte in unterschiedlichen Stadien gleichzeitig leite, wird es garantiert nie langweilig.

Data Science Blog: Sind gute Data Scientists Ihrer Erfahrung nach tendenziell eher Beratertypen oder introvertierte Nerds?

Das hängt so ein bisschen davon ab wo man seinen Schwerpunkt sieht. Als Data Visualizer oder Data Artist geht es darum die Informationen auf das wesentlich zu reduzieren und toll und verständlich darzustellen. Dafür braucht man Kreativität und ein gutes Verständnis für das Geschäft und einen sicheren Umgang mit den Tools.

Der Data Analyst beschäftigt sich vor Allem mit dem „Slice and Dice“ von Data. Ziel ist es, die Vergangenheit zu analysieren und Zusammenhänge zu erkennen. Es ist wichtig zusätzlich zu dem finanziellen Wissen auch gute mathematische Fähigkeiten zu haben.

Der Data Scientist ist der mathematischste von allen. Er beschäftigt sich damit aus den Daten tiefere Zusammenhänge zu erkennen und Vorhersagen zu treffen. Dabei geht es um die Entwicklung von komplizierten Modellen oder auch Machine Learning Algorithmen. Ohne eine gute mathematische Ausbildung und Programmierkenntnisse ist es leider nicht möglich die Sachen in voller Tiefe zu verstehen. Die Gefahr falsche Schlüsse zu ziehen oder Korrelationen zu interpretieren, die sich aber nicht bedingen ist sehr groß. Ein einfaches Beispiel hierfür ist, dass im Sommer, wenn das Wetter schön ist, mehr Menschen Eis essen und in Seen baden gehen. Daher lässt sich eine eindeutige Korrelation zwischen Eis essen und der Anzahl an Ertrunkenen zeigen, obwohl nicht das Eis essen zum Ertrinken führt sondern die beeinflussende Variable die Temperatur ist. Daher ist ein Doktor in einem mathematiknahen Fach schon wichtig.

Genauso ist aber für den Data Scientist auch das entsprechende Finanz- und Branchenwissen wichtig, denn seine Erkenntnisse und Lösung müssen relevant für den Kunden sein und deren Probleme lösen oder Prozesse verbessern. Die tollste AI Maschine bringt keiner Bank einen Wettbewerbsvorteil, wenn sie den Eisverkauf auf Basis des Wetters vorhersagt. Das kann zwar rechnerisch 100% richtig sein, hat aber keine Relevanz für den Kunden.

Es ist im Grunde wie in anderen Bereichen (z. B. der Medizin) auch. Es gibt viele verschiedene Schwerpunkte und für ernsthafte Probleme wendet man sich am besten an einen Spezialisten, damit man keine falschen Schlüsse zieht.

Data Science Blog: Für alle Studenten, die demnächst ihren Bachelor, beispielsweise in Informatik, Mathematik oder Wirtschaftslehre, abgeschlossen haben, was würden sie diesen jungen Damen und Herren raten, wie sie gute Data Scientists werden können?

Nie aufhören mit dem Lernen!  Der Markt entwickelt sich derzeit unglaublich schnell und hat so viele tolle Seiten. Man sollte einfach mit Leidenschaft, Begeisterung und Kreativität dabei sein und Spaß an der Erkennung von Mustern und Zusammenhängen haben. Wenn man sich dann noch mit interessanten und inspirierenden Menschen umgibt, von denen man noch mehr lernen kann, bin ich zuversichtlich, dass man eine tolle Arbeitszeit haben wird.

Data Science vs Data Engineering

Das Berufsbild des Data Scientsts ist gerade erst in Deutschland angekommen, da kommen schon wieder neue Jobbezeichnungen auf uns zu. “Ist das wirklich notwendig?”, wird sich so mancher fragen. Aber die Antwort lautet ganz klar: ja!

Welcher Data Scientist kennt das nicht: ein Recruiter ruft an, spricht von einer tollen neuen Herausforderung für einen Data Scientist wie man es sich ja offensichtlich auf seinem LinkedIn-Profil für sich beansprucht, doch bei der Besprechung der Vakanz stellt sich schnell heraus, dass man über fast keine der geforderten Skills verfügt. Dieser Mismatch liegt vor allem daran, dass unter den Job des Data Scientist alle möglichen Tätigkeitsprofile, Methoden- und Tool-Wissen zusammengefasst werden, die ein einzelner Mensch kaum in seinem Leben lernen kann.

Viele offene Jobs, die unter der Bezeichnung Data Science besetzt werden sollen, beschreiben eher das Berufsbild des Data Engineers.


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“Data Scientist vs Data Engineer – What is the Difference?”


Was macht ein Data Engineer?

Im Data Engineering geht es vor allem darum, Daten zu sammeln bzw. zu generieren, zu speichern, historisieren, aufzubereiten, anzureichern und nachfolgenden Instanzen zur Verfügung zu stellen. Ein Data Engineer, je nach Rang oft auch als Big Data Engineer oder Big Data Architect bezeichnet, modelliert skalierbare Datenbank- und Datenfluss-Architekturen, entwickelt und verbessert die IT-Infrastruktur hardware- und softwareseitig, befasst sich dabei auch mit Themen wie IT-Security, Datensicherheit und Datenschutz. Ein Data Engineer ist je nach Bedarf teilweise Administrator der IT-Systeme und auch ein Software Entwickler, denn er erweitert die Software-Landschaft bei Bedarf um eigene Komponenten. Neben den Aufgaben im Bereich ETL / Data Warehousing, führt er auch Analysen durch, zum Beispiel solche, um die Datenqualität oder Nutzerzugriffe zu untersuchen.

Ein Data Engineer arbeitet vor allem mit Datenbanken und Data Warehousing Tools.

Ein Data Engineer ist tendenziell ein ausgebildeter Ingenieur/Informatiker und eher weit vom eigentlichen Kerngeschäft des Unternehmens entfernt. Die Karrierestufen des Data Engineers sind in der Regel:

  1. (Big) Data Architect
  2. BI Architect
  3. Senior Data Engineer
  4. Data Engineer

Was macht ein Data Scientist?

Auch wenn es viele Überschneidungspunkte mit dem Tätigkeitsfeld des Data Engineers geben mag, so lässt sich der Data Scientist dadurch abgrenzen, dass er seine Arbeitszeit möglichst dazu nutzt, die zur Verfügung stehenden Daten explorativ und gezielt zu analysieren, die Analyseergebnisse zu visualisieren und in einen roten Faden einzuspannen (Storytelling). Anders als der Data Engineer, bekommt ein Data Scientist ein Rechenzentrum nur selten zu Gesicht, denn er zapft Daten über Schnittstellen an, die ihm der Data Engineer bereitstellt.

Ein Data Scientist befasst sich mit mathematischen Modellen, arbeitet vornehmlich mit statistischen Verfahren und wendet sie auf die Daten an, um Wissen zu generieren. Gängige Methoden des Data Mining, Machine Learning und Predictive Modelling sollten einem Data Scientist bekannt sein, wobei natürlich jeder ganz individuell Schwerpunkte setzt. Data Scientists arbeiten grundsätzlich nahe am Fachbereich und benötigen entsprechendes Fachbereichswissen. Data Scientists arbeiten mit proprietären Tools (z. B. von IBM, SAS oder QlikTech) und programmieren Analysen auch selbst, beispielsweise in Scala, Java, Python, Julia oder R.

Data Scientists können vielfältige akademische Hintergründe haben, einige sind Informatiker oder Ingenieure für Elektrotechnik, andere sind Physiker oder Mathematiker, nicht wenige auch Wirtschaftswissenschaftler.

  1. Chief Data Scientist
  2. Senior Data Scientist
  3. Data Scientist
  4. Data Analyst oder Junior Data Scientist

Data Scientist vs Data Analyst

Oft werde ich gefragt, wo eigentlich der Unterschied zwischen einem Data Scientist und einem Data Analyst läge bzw. ob es dafür überhaupt ein Unterscheidungskriterium gäbe:

Meiner Erfahrung nach, steht die Bezeichnung Data Scientist für die neuen Herausforderungen für den klassischen Begriff des Data Analysten. Ein Data Analyst betreibt Datenanalysen wie ein Data Scientist, komplexere Themen, wie Predictive Analytics und Machine Learning bzw. künstliche Intelligenz, sind aber eher was für den Data Scientist. Ein Data Scientist ist sozusagen ein Data Analyst++.

Und ein Business Analyst?

Business Analysten können (müssen aber nicht) auch Data Analysten sein. In jedem Fall haben sie einen sehr starkem Bezug zum Fachbereich bzw. zum Kerngeschäft des Unternehmens. Im Business Analytics geht es um die Analyse von Geschäftsmodellen und Geschäftserfolgen. Gerade die Analyse von Geschäftserfolgen geschieht in der Regel IT-gestützt und da setzen viele Business Analysten an. Dashboards, KPIs und SQL sind das Handwerkszeug eines guten Business Analysten.

 

Die üblichen Verdächtigen – 8 häufige Fehler in der Datenanalyse

Das eine vorab: eine Liste der meist begangenen Fehler in der Datenanalyse wird in jedem Fall immer eine subjektive Einschätzung des gefragten Experten bleiben und unterscheidet sich je nach Branche, Analyse-Schwerpunkt und Berufserfahrung des Analysten. Trotzdem finden sich einige Missverständnisse über viele Anwendungsbereiche der Datenanalyse hinweg immer wieder. Die folgende Liste gibt einen Überblick über die acht am häufigsten begangenen Fehler in der angewandten Datenanalyse von denen ich behaupte, dass sie universell sind.

  1. Statistische Signifikanz versus Relevanz

Die Idee der statistischen Signifikanz wird oft missverstanden und deswegen fälschlicherweise mit statistisch belegter Relevanz gleichgesetzt. Beide messen jedoch sehr unterschiedliche Dinge. Statistische Signifikanz ist ein Maß der Gewissheit, welches die Zufälligkeit von Variation berücksichtigt. „Statistisch signifikant“ bedeutet also, dass es unwahrscheinlich ist, dass ein bestimmtes Phänomen nur zufällig auftritt. „Statistisch nicht signifikant“ bedeutet, dass neben der zufälligen Variation keine systematische bewiesen werden konnte. Wichtig: dies bedeutet nicht, dass es keine Effekte gibt, sondern, dass diese nicht belegt werden konnten. Statistische Signifikanz lässt sich mit ausreichend vielen Beobachtungen allerdings auch für sehr kleine Unterschiede belegen. Generell gilt: je größer die Stichprobe, desto kleiner werden die Unterschiede, welche als statistisch signifikant getestet werden. Deswegen unterscheidet sich die statistische Relevanz von der statistischen Signifikanz.

Statistische Relevanz misst hingegen die Effektstärke eines Unterschiedes. Die Größe eines Unterschiedes wird dazu in Relation zur Streuung der Daten gesetzt und ist damit unabhängig von der Stichprobengröße. Je größer die Varianz der Zufallsvariablen, desto kleiner wird die Effektstärke.

  1. Korrelation versus Kausalität

Wird eine hohe Korrelation zwischen zwei Größen festgestellt, so wird oft geschlussfolgert, dass eine der beiden Größen die andere bestimmt. In Wahrheit können auch komplexe statistische und ökonometrische Modelle keine Kausalität beweisen. Dies gilt sogar, wenn die Modellierung einer theoretischen Grundlage folgt, denn auch die kann falsch sein. Regelmäßig lehnen sich Forscher und Analysten aus dem Fenster, indem sie Wirkungen behaupten, welche eine genaue Prüfung nicht aushalten. Standardfragen, die als Automatismus einer jeden Analyse folgen sollte, welche behauptet Effekte gefunden zu haben sind: Welche Rolle spielen unbeobachtete Heterogenitäten, umgekehrte Kausalität und Messfehler in den Variablen für das Schätzergebnis? Erst wenn diese drei Quellen von Endogenität kontrolliert werden und außerdem davon ausgegangen werden kann, dass die Stichprobe die Grundgesamtheit repräsentiert, kann ein kausaler Zusammenhang angenommen und quantifiziert werden.

  1. Unbeobachtete Einflussfaktoren

Nicht messbare und deswegen nicht erhobene Einflüsse verzerren die geschätzten Parameter der kontrollierbaren Faktoren, sofern letztere mit den unbeobachteten im Zusammenhang stehen. In anderen Worten: der geschätzte Effekt wird fälschlicherweise der beobachteten Größe zugeschrieben, wenn eigentlich eine dritte, nicht beobachtete Größe die Zielgröße bedingt und gleichzeitig mit der beobachteten Größe korreliert. Das Lehrbeispiel
für Verzerrungen durch unbeobachtete Größen ist die Lohngleichung – eine Gleichung die seit nunmehr 60 Jahren intensiv beforscht wird. Die Schwierigkeit bei der Quantifizierung des Effektes von Ausbildung liegt darin, dass die Entlohnung nicht nur über Alter, Berufserfahrung, Ausbildung und den anderen Kontrollvariablen variiert, sondern auch durch das unterschiedlich ausgeprägte Interesse an einem lukrativen Erwerb und die Fähigkeit des Einzelnen, diesen zu erlangen. Die Herausforderung: es gibt keinen statistischen Test, welche eine Fehlspezifikation durch unbeobachtete Größen angibt. Unabdingbar ist deswegen ein tiefgehendes Verständnis des Analyseproblems. Dieses befähigt den Analysten Hypothesen zu formulieren, welche unbeobachteten Größen über eine Korrelation mit dem getesteten Regressor im Fehlerterm ihr Unwesen treiben. Um Evidenz für die Hypothesen zu schaffen, müssen smarte Schätzdesigns oder ausreichend gute Instrumente identifiziert werden.statistische-verzerrung

  1. Selektionsverzerrung

Eine Selektionsverzerrung liegt vor, wenn Beobachtungen nicht für jedes Individuum vorliegen oder von der Analyse ausgeschlossen werden. Die Grundvoraussetzung für jeden statistischen Hypothesentest ist die Annahme einer Zufallsstichprobe, so dass die Zielpopulation repräsentativ abgebildet ist. In der Praxis ergeben sich allerdings oft Situationen, in denen bestimmte Merkmale nur für eine Gruppe, aber nicht für eine zweite beobachtet werden können. Beispielsweise kann der Effekt einer gesundheitsfördernden Maßnahme eines Großbetriebes für die gesamte Belegschaft nicht durch die freiwillige Teilnahme einiger Mitarbeiter gemessen werden. Es muss explizit dafür kontrolliert werden, welche Unterschiede zwischen Mitarbeitern bestehen, welche das Angebot freiwillig in Anspruch nehmen im Vergleich zu denen, die es nicht annehmen. Eine Gefahr der Über- oder Unterschätzung der Effekte besteht generell immer dann, wenn über die Beschaffenheit der Stichprobe im Vergleich zur Grundgesamtheit nicht nachgedacht wird. Auf Basis einer nicht repräsentativen Stichprobe werden dann fälschlicherweise Generalisierungen formuliert werden, welche zu falschen Handlungsempfehlungen führen können.

  1. Überanpassung und hohe Schätzervarianz

Überanpassung passiert, wenn der Analyst „zu viel“ von den Daten will. Wird das Model überstrapaziert, so erklären die Kontrollvariablen nicht nur die Zielgröße sondern auch das weiße Rauschen, also die Zufallsfehler. Die Anzahl der Regressoren im Verhältnis zur Anzahl der Beobachtungen ist in solch einer Spezifikation übertrieben. Das Problem: zu wenig Freiheitsgrade und das vermehrte Auftreten von Multikollinearität führen zu einer hohen Varianz in der Verteilung der Schätzer. Ein Schätzergebnis einer Spezifikation mit einer hohen Schätzervarianz kann also Schätzergebnisse produzieren, welche vom wahren Wert weiter entfernt sind als ein verzerrter Schätzer. Tatsächlich ist ein „falsches“ meistens ein Hinweis auf Multikollinearität.verlorene-effizienz-statistisches-modell

Oft macht es Sinn, die Spezifikation anzupassen, indem man die korrelierten Regressoren ins Verhältnis zueinander zu setzt. In der Praxis geht es immer darum, einen Kompromiss aus Verzerrung und Varianz zu finden. Das Kriterium hierfür ist die Minimierung des mittleren quadratischen Fehlers. Um zu überprüfen, ob der Analyst über das Ziel hinausgeschossen ist, gibt es zudem verschiedene Validierungsmethoden, welche je nach Methode einen bestimmten Anteil oder sogar keine Daten „verschwenden“, um das Modell zu überprüfen.kompromiss-quadratischer-fehler-statistisches-modell

  1. Fehlende Datenpunkte

Beobachtungen mit fehlenden Datenpunkten werden in der Praxis aus der Analyse in den meisten Fällen ausgeschlossen, einfach deswegen, weil das am schnellsten geht. Bevor das gemacht wird, sollte allerdings immer die Frage vorangestellt werden, wieso diese Datenpunkte fehlen. Fehlen sie zufällig, so führt der Ausschluss der Beobachtungen zu keinen unterschiedlichen Ergebnissen. Fehlen sie allerdings systematisch, beispielsweise wenn Personen mit bestimmten Merkmalen spezifische Daten lieber zurückhalten, so ergeben sich daraus Herausforderungen. Es sollte dann darum gehen, diese gesamte Verteilung zu ermitteln. Ist unklar, ob die Daten zufällig oder systematisch fehlen, so sollte sich der Analyst im Zweifel dieser Frage annehmen. Es müssen dann Informationen identifiziert werden, welche helfen die fehlenden Daten zu imputieren.

  1. Ausreißer

Ausreißer werden in vielen Anwendungen mit standardisierten Verfahren identifiziert und aus dem Datensatz entfernt. Dabei lohnt es sich in vielen Fällen, die Daten ernst zu nehmen. Die Voraussetzung hierfür: die Datenpunkte müssen legitim sein. Problemlos ausschließen lassen sich Datenpunkte, welche durch Eingabefehler und bewusste Falschmeldung erzeugt wurden. Legitime Datenpunkte sind hingegen “echte” Werte. Die Einbeziehung von Ausreißern kann mitunter einen inhaltlichen Beitrag zur Analyse leisten, da auch sie einen Teil der Population im Ganzen sind. Problematisch wird die Beibehaltung von Ausreißern, wenn durch sie Zusammenhänge identifizierbar werden, die auf den Rest der Population nicht zutreffen. Mögliche Verfahren, welche Ausreißer mit dem Rest der Beobachtungen versöhnen, sind Transformationen der Daten oder die Anwendung robuster Schätzverfahren. Beide Ansätze spielen mit einer stärkeren Gewichtung der mittleren Verteilung. Außerdem kann beispielsweise in Regressionen überprüft werden, inwieweit etwa ein nicht-linearer Fit die Ausreißer besser in die Schätzung aufnimmt.

  1. Spezifizierung versus Modellierung

Allzu oft werden komplizierte statistische Modelle gebaut, bevor überprüft wurde, was ein einfaches Modell leisten kann. Bevor jedoch komplexe Modelle gestrickt werden, sollte zuerst an der Spezifikation des Modells gearbeitet werden. Kleine Anpassungen wie die Inklusion verbesserter Variablen, die Berücksichtigung von Interaktionen und nicht-linearen Effekten bringen uns in manchen Fällen der Wahrheit näher als ein aufwendiges Modell und sollten in jedem Fall ausgereizt werden, bevor ein aufwendigeres Modell gewählt wird. Je einfacher das Modell, desto einfacher ist es in der Regel auch die Kontrolle darüber zu behalten. In jedem Fall sollten die gewählten Spezifikationen immer durch Sensitivitätsanalysen unterstützt werden. Unterschiede in der Variablendefinition und der Selektion der Daten, sollten sowohl getestet als auch berichtet werden. Einen guten Grund, das Modell zu wechseln hat der Analyst dann, wenn daraus ersichtlich wird, dass Annahmen des einfachen Modells verletzt werden und dieses deswegen keine validen Ergebnisse produziert.

Interview – Bedeutung von Data Science für Deutschland

Klaas Wilhelm Bollhoefer ist Chief Data Scientist bei The unbelievable Machine Company (*um), einem Full-Service Dienstleister für Cloud Computing und Big Data aus Berlin. Er übersetzt Business-Anforderungen in kundenspezifische Big Data Lösungen und agiert an der Schnittstelle von Business, IT, Künstlicher Intelligenz und Design. Er ist Community Manager diverser Fachgruppen sowie Mitglied in Beiräten und Jurys zahlreicheklaas-bollhoefer-web-fotor internationaler Big Data Veranstaltungen. Vor seiner Tätigkeit als Chief Data Scientist hatte Herr Bollhöfer bei Pixelpark den Bereich “Beratung und Konzeption” aus der Taufe gehoben und über mehrere Jahre verantwortet, sowie selbständig als strategischer Berater gearbeitet. Er hat Medientechnik, Visual Communication und Philosophie in Köln und Melbourne studiert, hielt Lehraufträge zu Project Governance & Social Data an der TU Berlin, HTW Berlin, der Uni Siegen und der FH Köln inne und schreibt ab und an für diverse Fachpublikationen.

Data Science Blog: Herr Bollhoefer, welcher Weg hat Sie ins Data Science von The unbelievable Machine (*um) geführt?

Bollhoefer: Das war alles andere als eine gradlinige Geschichte. Ich kannte Ravin Mehta, Gründer und Geschäftsführer von *um noch von der Pixelpark AG, bei der ich von 2000 bis 2009 in verschiedenen Positionen tätig war. Das nächste was Ravin vorhatte, nachdem er in den Cloud-Markt mit *um sehr erfolgreich eingestiegen war, war Big Data. Als ich ihn fragte, was Big Data denn genau sei, meinte er, dass wüsste (damals) noch niemand so genau!

Das war vor etwa vier Jahren und es war die Chance für mich, in dieses neue Thema einzusteigen und zudem eine tolle Gelegenheit – denn eigentlich bin ich ja Ingenieur – für mich, Mathematik wieder aufzufrischen. Ich war der erste Mitarbeiter für Data Science bei *um, habe das Dienstleistungsportfolio maßgeblich mitaufgebaut und konnte mich daher als Chief Data Scientist positionieren. Ich bin allerdings kein Spezialist, sondern Generalist über alles, was man dem Data Science so zuschreiben kann.

Data Science Blog: Welche Branchen profitieren durch Big Data und Data Science gegenwärtig und in naher Zukunft am meisten?

Bollhoefer: Branchen, die schon seit längerer Zeit direkt von Big Data und Data Science profitieren, sind die sogenannten Digital Pure Player, also vorwiegend junge Unternehmen, deren Geschäftsmodelle rein auf digitaler Kommunikation aufbauen sowie eCommerce-Unternehmen. Unter den Fachbereichen profitieren vor allem das Marketing und unter den Geschäftsmodellen ganz besonders das Advertising von Big Data Analytics. Der Begriff Customer Analytics ist längst etabliert.

Zu den Newcomern gehören die Branchen, auf die Deutschland besonders stolz ist: Sowohl die OEMs, als auch die größeren Zulieferer der Automobilbranche setzen mittlerweile vermehrt auf Big Data Analytics, wobei das Supply Chain Management mit Blick auf Logistik und Warenwirtschaft aktuell ganz klar im Vordergrund steht. Es ist hier für uns bereits viel Bewegung spürbar, aber noch lange nicht das Maximum ausgeschöpft. Zumindest ist für viele dieser Unternehmen der Einstieg gefunden.

Auch aus der klassischen Produktion entsteht im Kontext von Industrie 4.0 gerade Nachfrage nach Data Science, wenn auch etwas langsamer als erhofft. Die Potenziale durch die Vernetzung von Produktionsmaschinen sind noch nicht annähernd ausgeschöpft.

Branchen, die meiner Erfahrung nach noch nicht genügend aktiv geworden sind, sind die Chemie- und Pharma-Industrie. Auch Banken und Versicherungen, die ja nicht mit realen Werten, sondern nur mit Daten arbeiten, stehen – abgesehen von einigen Ausnahmen – überraschenderweise noch nicht in den Startlöchern, trotz großer Potenziale.

Data Science Blog: Und welche Branchen sehen Sie durch diese neuen Methoden und Technologien bedroht?

Bollhoefer: Eigentlich mag ich keine Bedrohungsszenarien durch Big Data skizzieren, denn diese führen nur dazu, dass sich Entscheider noch mehr vor dem Thema verschließen und genau dieses Verschließen stellt die eigentliche Bedrohung dar.

Die Chance sollte im Fokus stehen. Die deutsche Industrie, der produzierende Mittelstand, hat mit Big Data und Analytics die Möglichkeit, Fertigungs- und Prozessketten sehr viel weiter zu flexibilisieren und zu optimieren. Die Industrie 4.0 Initiative der deutschen Bundesregierung setzt hier ein ganz wichtiges Zeichen.

Es ist aber auch vollkommen klar, dass die deutsche Automobilindustrie – so wie sie heute existiert – massiv durch Google und Apple und deren Bestrebungen zum vernetzten und autonomen Fahrzeug bedroht ist. Es wird in absehbarer Zeit neue Wettbewerber geben, die klassische Gesamtkonzepte hinterfragen, sie neu und auch anders denken, als wir es heute kennen. Mobilität ist eines dieser Gesamtkonzepte.

Wenn die Kunden darauf anspringen, wird es existenzbedrohend für deutsche Unternehmen. Das ist aber nicht nur durch Big Data getrieben, sondern generell durch immer zügigere Technologiesprünge wie beispielsweise mehr Rechenpower, Batteriekapazität und Vernetzungstechnik.

Data Science Blog: Trotz der vielen Einflüsse von Big Data auf unsere Gesellschaft und Wirtschaft scheint die Berufsbezeichnung Data Scientist nur wenigen ein Begriff zu sein. Wird Data Science als Disziplin in Deutschland noch unterschätzt?

Bollhoefer: Ich denke nicht, dass dieses Berufsbild noch so unbekannt ist. Es ist vollkommen klar, dass es kein Wald- und Wiesen-Job ist, aber großen Unternehmen und Start-Ups ist heute schon sehr bewusst, dass Data Science ein wichtiges Themenfeld ist, ohne das keine Wettbewerbsfähigkeit mehr möglich wäre. Auch sind Profile bereits gut definiert, was ein Data Scientist ist und was man als solcher können sollte.

Data Science Blog: Kleinere Mittelständler haben von Data Science allerdings noch nicht viel gehört, ist das Thema für solche Unternehmen überhaupt von Bedeutung?

Bollhoefer: Kleinere Mittelständler kennen es noch nicht, aber Data Science ist für viele Unternehmen auch kleinerer Größen interessant. Die Werkzeuge, mit denen Data Science betrieben werden kann, sind immer einfacher zu bedienen. Auch Cloud-Lösungen machen diese innovativen Analysen für kleine Unternehmen erschwinglich, so sinkt die Hürde, mit seinen Daten viele der möglichen Potenziale zu realisieren.

Je leistungsfähiger die Werkzeuge werden, desto eher können auch kleinere Unternehmen von diesem Trend profitieren. Die Entwicklung, die gerade stattfindet sorgt für keine Not im Mittelstand, die entsprechenden Entscheider und Geschäftsführer sollten sich jedoch laufend über aktuelle Technologien und Möglichkeiten informieren.

Das ist zumindest meine Einschätzung, die sich jedoch genauso wie die aktuellen Technologien hin und wieder der Situation anpassen muss.

Data Science Blog: Ihre Gruppe Data Science Germany auf Xing.com hat bereits 1.240 Mitglieder und als KeyNote-Speaker sind Sie ebenfalls einer der Frontmänner in Deutschland für Big Data. Was können wir in Deutschland tun, um nicht den Anschluss zu verlieren oder gar auf Augenhöhe des Silicon Valley zu kommen?

Bollhoefer: Nur irgendwelche Gruppen oder Meetups zu organisieren hilft dem Standort Deutschland nicht weiter, auch wenn die Kommunikation untereinander sehr wichtig ist.

In Anbetracht der neuen Möglichkeiten, die wir insbesondere mit Machine Learning eröffnet bekommen, mit den neuen mathematischen Modellen und Technologien, wird sich in Zukunft vieles ändern, das ist vielen Leuten aber noch weitgehend unbekannt. Wir müssen massiv dafür sorgen, dass Transparenz geschaffen wird durch Lehre und Ausbildung.

Es ist jetzt ein enorm wichtiger Zeitpunkt, bei dem sich jedes größere Unternehmen auf eine krasse Lernphase einlassen sollte. Was verbirgt sich hinter künstlicher Intelligenz? Wie funktioniert Machine Learning und Predictive Analytics? Erst wenn das richtig verstanden ist, dann kann die Projektion auf eigene Geschäftsmodelle erfolgen.

Bisher suchten alle nach einem Referenz-Use-Case in der eigenen Branche, den man dann einfach eins zu eins übernehmen kann. Es wird dabei vielfach vergessen, dass diejenigen, die die ersten Schritte bereits gemacht haben, dann schon sehr viel weiter sind als die Nachahmer. Die US-Amerikaner machen es uns vor, sie tun es einfach und lernen daraus. Sie tun es schnell, sie scheitern schnell, erlangen aber auch schnell Erfolge. Dank dieses Mentalitätsaspektes sind sie uns teilweise weit voraus.

Dieser Vorsprung ist nur sehr schwer aufzuholen, da es an der Mentalitätskultur liegt. Eine andere Lern- und Fehlerkultur würde uns sehr gut tun, die kann man aber nicht herbeireden, die muss man entwickeln durch Anreize von der Politik. Industrie 4.0 ist daher eine gute Initiative, denn daran hängen Förderprogramme und Forschungsmotivationen. Das nimmt die Unternehmer aber nicht aus der Verantwortung, in dieser Sache am Ball zu bleiben.

Data Science Blog: Wie sieht der Arbeitsalltag als Data Scientist nach dem morgendlichen Café bis zum Feierabend aus?

Bollhoefer: Höchst unterschiedlich, denn Data Science umfasst vielfältige Tätigkeiten.

Der Berufsalltag findet überwiegend am Computer statt, denn heutzutage heißt Data Science vor allem Programmieren. Als Data Scientist setzten wir mit Programmierung Use Cases um, dabei nutzen wir meistens Python oder R, es können aber auch andere Programmiersprachen eingesetzt werden.

Viele Tätigkeiten verlangen Kreativität, Stift und Zettel sowie viel Austausch mit Kollegen. Nur wenige Arbeitsschritte lassen sich fest planen, iteratives bzw. agiles Vorgehen ist notwendig.

Kernaufgabe und Höhepunkt unserer Arbeit sind die Messung von Qualitätskriterien sowie das Trainieren und Optimieren mathematischer Modelle. Das sogenannte Feature-Engineering, also das Herausarbeiten relevanter Features (individuelle messbare Eigenschaften eines Objektes oder eines Sachverhaltes) bildet die dafür notwendige Basis und macht in der Praxis häufig bis zu 80% unserer Arbeitszeit aus.

Data Science Blog: Data Science ist Analyse-Arbeit und es geht viel um Generierung und Vermittlung von Wissen. Sind gute Data Scientists Ihrer Erfahrung nach tendenziell eher kommunikative Beratertypen oder introvertierte Nerds?

Bollhoefer: Im Idealfall sollte ein Data Scientist in gewisser Weise beides sein, also fifty/fifty. Das ist zumindest das, was es eigentlich bräuchte, auch wenn solche Leute nur schwer zu finden sind.
Den idealen Data Scientist gibt es wohl eher nicht, dafür arbeiten wir in Teams. Data Science ist Teamsport. Am erfolgreichsten sind Teams mit eben diesen Mindsets der kommunikativen Beratertypen mit Überzeugungsfähigkeit und den autodidaktischen Nerds mit viel tiefgehendem Wissen in Mathematik und Informatik.

Data Science Blog: Für alle Studenten, die demnächst ihren Bachelor, beispielsweise in Informatik, Mathematik oder Wirtschaftslehre, abgeschlossen haben, was würden sie diesen jungen Damen und Herren raten, wie sie gute Data Scientists werden können?

Bollhoefer: Wer operativ schnell tätig werden möchte, sollte auf den Master verzichten, denn wie die Nachfrage nach Data Science in drei Jahren aussehen wird, weiß niemand. Es ist ganz wichtig, jetzt zu starten und nicht in drei Jahren.

Der Weg ist zurzeit über Kontakte am leichtesten. Wer die nicht hat, kann diese schnell aufbauen, dazu einfach ein paar der vielen Meetups besuchen, über Social Media in der Szene netzwerken, sich Vorträge anhören und dadurch auch gleichzeitig in Erfahrung bringen, wie Data Scientists denken, arbeiten und was das typische Jobprofil ausmacht. Um der Thematik, den Tools und Methoden näher zu kommen, gibt es Kurse bei Coursera, Udacity, Kaggle Competitions, so kann man selber mal praxisnahe Probleme lösen. Zwei oder drei Zertifikate von diesen Anlaufstellen helfen bei der Jobsuche weiter.

Interview – Big Data Analytics in der Versicherungsbranche

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Welche Rolle spielt Big Data in der Versicherungsbranche? Ist Data Science bereits Alltag in einer Versicherung? Wenn ja, welche Analysen werden bereits durchgeführt?
Hierzu haben wir den Datenarchitekt Norbert Schattner befragt und sehr interessante Antworten erhalten:

Norbert Schattner ist Informations- & Datenarchitekt bei der Helsana AG in der Schweiz. Die Helsana AG ist ein Versicherungskonzern mit Schwerpunkt auf Kranken- und Unfallversicherung. Der Konzern beschäftigt rund 3.500 Mitarbeiter und macht 5,5 Milliarden Franken Umsatz.

Data Science Blog: Herr Schattner, welcher Weg hat Sie in die Datenarchitektur und in das Data Warehouses bei Helsana geführt?

Schattner: Ich habe in meiner Berufslaufbahn kontinuierlich im Umfeld Business Intelligence und Data Warehousing gearbeitet und konnte mich zum Experten für unternehmensübergreifende Architektur von Daten- und Informationsflüssen weiter entwickeln.

Nachdem ich eine Zeit lang als Senior Consultant für eine Unternehmensberatung tätig war, bin ich zur UBS Bank nach Zürich gegangen und war für das Rollout Management im Data Warehouse Kontext tätig. Schlussendlich wechselte ich dann zur Helsana Versicherungsgruppe, denn dort konnte ich in ein Projekt einsteigen, bei dem ich die Datenarchitektur von Grund auf neu aufbauen durfte. Durch dieses Projekte hatte ich die Gelegenheit eine nachhaltige Datenarchitektur von Grund auf aufzubauen und in weiteren Grossprojekten mitwirken.

Data Science Blog: Die Medien überschlagen sich in letzter Zeit geradezu beim Thema Big Data, dabei scheint jede Branche diesen Begriff für sich selbst zu interpretieren. Was bedeutet Big Data für Sie? Wie sieht Big Data aus der Perspektive der Versicherungsbranche aus?

Schattner: Big Data ist sicherlich ein großes Schlagwort der IT geworden. In der Versicherungsbranche ist Big Data ein großes und sehr aktuelles Thema. Auch die Helsana spricht von Big Data und versteht darunter große und verteilte Mengen an strukturierten und unstrukturierten Daten.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind die wichtigsten und größten Datenbestände der Helsana in strukturierter Form vorliegend. Strukturierte Geschäftsdaten sind für uns der wichtigste Anteil vom Big Data Kuchen. Oftmals gehen in der Diskussion von Big Data die strukturierten Daten unter, obwohl auch diese eine enorme Menge und Vielfalt darstellen und somit zur Herausforderung werden können – ganz egal, was aktuelle Technologieanbieter hier versprechen mögen.

In der nahen Zukunft werden auch Social Media Daten wichtig, beispielsweise um die Kundenzufriedenheit besser zu erfassen. Erste Ansätze verfolgen wir zwar schon, dennoch muss ehrlicherweise gesagt werden, dass die Projekte noch in den Kinderschuhen stecken.

Data Science Blog: Welche Rolle spielt Data Science in der Versicherungsbranche?

Schattner: Data Science spielt eine große Rolle, auch wenn wir in unserer Versicherung das Wort Data Science nicht aktiv verwenden, denn auch unsere Analysen von unstrukturierten Daten und mit statistischen Modellen laufen bei uns unter dem Begriff Business Intelligence.
Daten sind der einzige „Rohstoff“, den Versicherungen haben und da wir uns mit den Themen Gesundheit und Unfällen beschäftigen, spielen wir auch für die Forschung eine wichtige Rolle. Einige Kennzahlen sind teilweise von öffentlichem Interesse, wie etwa der Krankenstand, und bei der Ermittlung gibt es aus Sicht der Datenerhebung und statistischen Auswertung sehr viele Aspekte zu berücksichtigen.

Data Science Blog: Arbeiten Data Scientist eher in eigenen abgekapselten Abteilungen oder in der IT-Abteilung oder in den Fachbereichen?

Schattner: Wir haben keine zentrale Data Science Abteilung, sondern trennen zwei Bereiche:

Das Data Warehouse ist in der IT angesiedelt und hat die Aufgabe, alle erfassten und erfassbaren Daten zu sammeln und den Fachbereichen zur Verfügung zu stellen. In der Regel werden vom Data Warehouse strukturierte Daten bereit gestellt, vermehrt werden jedoch auch unstrukturierte Daten, beispielsweise aus eingescannten Dokumenten, von den Fachbereichen angefordert.

Die gezielten Analysen finden dann weitgehend unabhängig voneinander in den einzelnen Fachbereichen statt, wobei einige Fachbereiche natürlich eigene Analyse-Teams aufgebaut haben.

Data Science Blog: Welche Tools werden für die Datenauswertung bei der Helsana überwiegend eingesetzt?

Schattner: Wir arbeiten überwiegend mit den Business Intelligence Lösungen IBM Cognos Suite, QilikTech QlikView und für statistische Analysen setzen wir vor allem auf SAS Analytics und zunehmend auch auf die Open Source Statistiksprache R ein.

Data Science Blog: Welche technischen Herausforderungen haben Sie ganz besonders im Blick in Sachen Big Data Analytics? Und auf welche Strategien zur Bewältigung setzen Sie?

Schattner: Es gibt nicht einige wenige besonders große Herausforderungen, sondern sehr viele kleinere über den gesamten Workflow hinweg. Big Data Analytics beginnt mit der Datenerhebung und ETL-Prozessen, umfasst weiter die Datenaufbereitung, statistische und visuelle Analyse und geht noch weiter bis hin zum Reporting mit Handlungsempfehlungen.

Zurzeit arbeiten wir sehr daran, den Umfang an Datenbeständen zu erweitern, Daten zu konsolidieren und die Datenqualität zu verbessern, denn die besten Analyseverfahren nützen wenig, wenn die Datenquellen nicht gut sind. Basierend auf den Datenquellen entwickeln wir für uns wichtige Informationsprodukte, mit denen wir unsere Leistungs- und Servicequalität erhöhen können, daher lohnt sich jede Investition in das Data Warehouse.

Wir verfolgen derzeit zwei Strategien parallel:

Auf dem Fast-Track stellen wir unternehmenskritische und für die dringende Einführung wichtige Informationen schnell zur Verfügung stellen. Dies läuft über einen agilen Ansatz, so dass wir hier schnell reagieren können und flexibel bleiben.

Dann verfolgen wir parallel dazu einen langfristigen Weg, gesicherte Datenflüsse nachhaltig aufzubauen, die viel besser administrierbar und erweiterbar sind.

Data Science Blog: Gerade in der Versicherungsbranche ist sicherlich der Datenschutz ein besonders wichtiges Thema, was können Sie dazu sagen?

Schattner: Die Informationen aus dem Data Warehouse unterliegen vielen Schutzauflagen, da unser Geschäft reich an Personen- und Diagnosedaten ist. Datenschutz und auch Datensicherheit haben höchste Priorität. Wir haben dabei auch Schutzmaßnahmen eingeführt, dass sich Mitarbeiter aus den Systemen heraus nicht über Diagnosen anderer Mitarbeiter informieren können.

Data Science Blog: Was für Analysen betreiben die Fachbereiche beispielsweise? Werden auch bereits unstrukturierte Daten systematisch analysiert?

Schattner: Wir unterstützen mit unseren statistischen Analysen die Forschung. Ein Beispiel aus der Gesundheitsökonomie ist die Ritalin-Forschung. Ritalin ist ein Medikament, das gegen die Aufmerksamkeitsstörung ADHS eingesetzt wird und die Konzentration betroffener Patienten steigert. Wir können basierend auf unseren Daten streng anonymisierte Analysen betreiben,  ob in bestimmten Regionen mit ansonsten vergleichbaren Gesundheitsstrukturen unterschiedliche Häufigkeiten und Dosen auftreten. Finden wir sogenannte Hotspots, können kausale Zusammenhänge gesucht werden. Ursachen könnten beispielsweise Hypes unter lokalen Ärztegruppen sein oder schwierige soziale Verhältnisse unter Familienverbänden.

Ferner vergleichen wir Leistungserbringer und analysieren unterschiedliche Kostenverhältnisse unter Ärztestrukturen und Krankenhäusern.

Auch unstrukturierte Daten fließen in Form von Texten in manche unserer Analysen ein. Alle Dokumente zu Schadensfällen werden von unserer hausinternen Post eingescannt. Die Textinformationen aus den Schadensmeldungen speist unser Data Warehouse in BLOBs relationaler Datenbanken, auf die dann wieder der Fachbereich parsend zugreift.

Darüber hinaus stehen für uns Daten über unsere Leistungen und die Kundenzufriedenheit im Vordergrund, denn dadurch können wir uns als Unternehmen kontinuierlich verbessern.

Data Science Blog: Data Scientist gilt als Sexiest Job of the 21st Century. Welchen Rat würden Sie jungen Leuten geben, die Data Scientist bzw. Business Analyst werden möchten? Welche Kenntnisse setzen Sie voraus?

Schattner: Stellen wir uns einen Schieberegler vor, den wir nur in die eine oder andere verschieben könnten, sich dabei ganz links das Wissen über das Business stehen würde und ganz rechts sich das IT-Wissen befindet. Ich würde den Regler auf 80% auf die Business-Seite schieben. Es sollte natürlich auch  Wissen über SQL, ETL und Programmierung vorhanden sein, aber alleinige IT- bzw. Tool-Experten helfen uns leider wenig. In der Versicherungsbranche ist vor allem ein Wissen über das Geschäft von Bedeutung. Heutzutage ermöglichen interaktive Tools recht einfach die Erstellung von Datenbankabfragen sowie eine multidimensionale und visuelle Datenanalyse.

Das verdeutlichen auch die zwei Architekturen: Zum einen haben wir die Datenarchitektur, die die Datenflüsse von den Datenquellen ausgehend beschreibt, und zum anderen haben wir eine Informationsarchitektur, die die Daten über Geschäftslogiken in Business Objects fasst, so werden aus Daten Informationen.

Folgende Metapher verwende ich hierzu auch gerne in meinen Vorträgen: Ein Tischler beherrscht sein Handwerk Möbel zu bauen, ein CNC-Fräser fertigt Maschinenwerkzeug.

Der Tischler merkt schnell, dass er mit einer elektrischen Säge schneller und genauer vorankommt, als mit einer Handsäge. Der Drehmaschinenarbeiter verfügt zwar über perfekt arbeitende und computergesteuerte Gerätschaften, ist jedoch nicht in der Lage,  gute Holzmöbel zu bauen, weil er es niemals gelernt hat.

Genauso muss der Business Experte zwar erstmal lernen, bestimmte Tools zu bedienen, aber dafür hat er stets ein genaues Ziel im Kopf, was er damit erreichen will. Die Bedienbarkeit der Tools am Markt lässt sich heute leichter erlernen als früher.

Gute Data Scientists schauen, welche Nutzen aus Daten erzeugt werden könnten und welche Daten zur Verfügung stehen oder erfasst werden können, um bestimmte Resultate erzielen zu können.

Branchenwissen allein reicht jedoch auch nicht unbedingt aus, beispielsweise ist es beim Customer Analytics wichtig, branchenspezifische Vertriebsstrategien im Kopf zu haben und auch aus der Praxis zu kennen, denn nur so lassen sich die Informationen in praxisnahe Strategien umwandeln.

Data Science Blog: Wird die Nachfrage nach Data Science weiter steigen oder ist der Trend bald vorbei?

Schattner: Ich denke, dass dieser Hype noch nicht ganz erreicht ist. Irgendwann wird er aber erreicht sein und dann schlägt die Realität zu. Beispielsweise wird gerade viel über Predictive Analytics gesprochen, dabei betreiben einige Fachbereiche bereits seit mindestens einem Jahrhundert Vorhersagen. Im Controlling, aus dem ich komme, waren bereits recht komplexe Prognosen in Excel üblich, nur hätten wir das nicht Predictive Analytics oder Data Science genannt. Natürlich werden die Prognosen nun dank leistungsfähigerer Technologien immer besser und genauer, nur ist es nichts substanziell Neues. Der Trend verstärkt aber die Bemühungen im Bereich Business Intelligence und lockert auch Budgets für neue Analyseverfahren.


 

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