Interview – Erfolgreiche Big Data Projekte mit DataLab
Dr. Susan Wegner ist seit 2011 Vice President für den Bereich Smart Data Analytics & Communication und Leiterin des DataLabs bei den T-Labs in Berlin (Telekom Innovation Laboratories), einer eigenen Abteilung für Research & Development für Big Data Projekte. Die promovierte Informatikerin war zuvor Leiterin bei der T-Systems für Services and Platforms und ist auch in der universitären Welt der Datenwissenschaften international sehr gut vernetzt.
Data Science Blog: Frau Dr. Wegner, welcher Weg hat Sie bis an die Analytics-Spitze der Deutschen Telekom geführt?
Ich studierte Informatik an der TU-Berlin und schrieb meine Doktorarbeit im Bereich des maschinellen Lernens (Machine Learning) für die digitale Bildsegmentierung. Dabei werden Mustererkennungsalgorithmen (Pattern Recognition) eingesetzt, um Bilderkennung zu ermöglichen, ein Thema, dass u.a. durch Augmented Reality immer bedeutender wird.
Ich bin daher recht früh an dem Thema der Datenverarbeitung und Mustererkennung dran gewesen. Vor etwa drei Jahren hatte unser Vorstand zwar noch kein klares Bild von Big Data, aber der Konzern suchte neue Speerspitzen, die die Themen vorantreiben. Mein Einstieg zu dieser Position gelang mir über die ersten Projekte mit Big Data Analytics: Algorithmen für datengetriebene Empfehlungssysteme (Recommendation Systems).
Für mich war mein Weg bis hierher tatsächlich auch eine Lebenslektion, die besagt, dass es sich lohnen kann, früh in neue Themen einzusteigen und dann auch dabei zu bleiben, um sich permanent verbessern zu können.
Data Science Blog: Als Leiterin des DataLabs, ein Datenlabor der Telekom, setzen Sie Big Data Projekte nachweisbar erfolgreich um. Was ist eigentlich ein DataLab?
Ein DataLab ist ein eigener physischer Unternehmensbereich, indem Datenbestände verknüpft, explorativ analysiert und neue Anwendungsfälle (Use Cases) gefahrlos erprobt werden können. Gefahrlos bedeutet in diesem Kontext, dass erstens die Sicherheit der Daten und die legitime Nutzung der Daten gewährleistet ist. Es bedeutet aber auch, dass wir raus aus dem meist engeren Horizont der Fachbereiche kommen, so dass die Daten und Möglichkeiten in einem neuen Licht betrachtet werden können.
In einem DataLab kombinieren wir die IT-technische Sicht mit der Kunden- und Business-Sicht. Die meisten Big Data Projekte sind äußerst interdisziplinär und das dafür nötige interdisziplinäre Team können wir so kompromisslos nur als DataLab aufstellen.
Data Science Blog: Könnten die Projekte nicht einfach in den jeweiligen Fachbereichen direkt umgesetzt werden? Oder in der zentralen Unternehmens-IT-Abteilung?
Jeden Anwendungsfall betrachten wir im DataLab im interdisziplinären Team aus der Kunden-, Business- und IT-Perspektive.
Wir möchten in einem DataLab Anwendungsfälle schnell auf ihre Machbarkeit hin prüfen und auch in die Praxis umsetzen. Dafür brauchen wir nicht nur technische Lösungen. Zu Beginn arbeiten wir viel mit Design Thinking und im engen Austausch mit unseren Kunden bzw. deren Fachbereichen. Ist der Anwendungsfall entwickelt, geht die Entwicklung schnell in die IT-technische Phase.
Die Unternehmens-IT hat in der Regel eher eine administrative Sicht und kann die IT-Ressourcen nicht flexibel genug bereitstellen. Gerade die Prototypen-Entwicklung bedarf einer gewissen Flexibilität der IT-Infrastruktur und eine gesicherten Umgebung. In einem externen DataLab, entkoppelt von den Produktivsystemen können wir mit der IT-Infrastruktur und auch mit den Analyseverfahren experimentieren. Die schwierig zu findenden Fachkräfte dafür sind meistens begeistert von den abwechslungsreichen Arbeitsplätzen, denn sie können hier ihre Kenntnisse und Kreativität voll einbringen. Dadurch können wir jedes Proof of Concept einer Analysemethodik oder eines Anwendungsfalls binnen weniger Wochen realisieren.
Und nicht zu vergessen: In einem DataLab gibt es keine Denkverbote. Ich beobachtete häufig, dass gerade junge Wissenschaftler und kreative Köpfe den etablierten Fachkollegen relativ kritische Fragen gestellt haben, die im Fachbereich niemals gestellt werden. In einem Datenlabor können wir hinterfragen und Betriebsblindheit entkräften.
Nur in einem DataLab können wir die Kreativität erbringen, die für die vielen Erfolge notwendig ist. Mit meinen Teams habe ich bereits mehr als 20 Big Data Projekte erfolgreich umgesetzt, allerdings bezeichnen wir uns auch deshalb als ein „Lab“, weil wir viele Experimente wagen und da muss im Sinne von „Fail fast“ auch mal ein Fehlschlag erlaubt sein.
Data Science Blog: Warum sollten Unternehmen auf unternehmensexterne Datenlabore wie die der T-Labs setzen?
In unseren T-Labs verfügen wir über viel Erfahrung aus unterschiedlichsten Projekten. Darüber hinaus verfügen wir über die Data Science Ressourcen und die IT-Infrastruktur, die von unseren Kunden genutzt werden kann.
Data Science Blog: Sie bearbeiten Anwendungsfälle unterschiedlicher Branchen. Können sich Branchen die Anwendungsfälle gegenseitig abschauen oder sollte jede Branche auf sich selbst fokussiert bleiben?
Meistens bleiben beispielsweise Maschinenbauer, Händler und Banker gerne unter sich und suchen ihre branchenspezifischen Lösungen. Einige Branchen entdecken bestimmte Analysemethoden gerade erst, die in anderen längst gängig sind.
Tritt man jedoch einen Schritt zurück, wird oft sichtbar, dass viele Branchen die gleichen Analysemethoden für ihre jeweiligen Zwecke nutzen und schon früher für sich entdeckt haben könnten, hätten sie nur mal den Blick zu anderen Branchen gewagt.
Data Science Blog: Aus den unüberschaubar vielen Anwendungsfällen herausgegriffen, was sind ihre aktuellen Top-Projekte?
Als wir vor etwa 6 Jahren angefangen haben, behandelten wir vor allem Recommendation Systeme im Bereich Customer Analytics, seitdem sind viele Anwendungsfälle hinzugekommen.
Es gibt sehr viele interessante Projekte. Eines unserer Top-Projekte liegt im Bereich Predictive Maintenance, wo Vorhersagen von Maschinenausfällen bzw. die Optimierung von Wartungsintervallen durch Analyse der Maschinendatenhistorie erreicht werden. Ein anderes Projekt ist eines aus dem Energiemanagement. Dabei geht es darum, dass wir die Ausfallwahrscheinlichkeit für bestimmte elektrische Leitungen prognostizieren. Durch Analyse der Auslastungsverläufe des Stromnetzes können wir die Auslastungsgefährdung berechnen und dabei helfen, das Konzept des Smart Grid zu realisieren.
Data Science Blog: Führen Sie auch Telekom-interne Projekte durch?
Ja, wir nutzen unsere internen Projekte auch zur Erprobung unserer eigenen Leistungen, so dass wir unseren Kunden ausgereifte Leistungen anbieten können. Interne Projekte sind u.a. Fraud-Detection und unser eigenes Customer Analytics, um unseren Kunden stets ein sicheres und attraktives Angebot machen zu können.
Ein zurzeit wichtiges internes Projekt ist die Synthetisierung von Daten, das ist ein datenschutzrelevantes Thema. Die Anonymisierung von Daten ist ein essenzielles Thema, denn unter bestimmten Umständen könnten selbst in anonymen Datenbeständen durch Kombination von gewissen Merkmalen einzelne Personen wieder identifiziert werden. Deshalb haben wir Algorithmen entwickelt, die statistische Zwillinge aus den Realdaten bilden, aber absolut keinen Bezug mehr zu den Ursprungsdaten ermöglichen.
Data Science Blog: Der Datenschutz scheint den kreativen Umgang mit Daten also ziemlich einzuschränken?
Unser deutscher Datenschutz ist sicherlich nicht übertrieben. Als Telekommunikationsunternehmen müssen wir unsere Kunden vor Datenmissbrauch schützen. Wir haben 60 feste Mitarbeiter, die nur für den Datenschutz zuständig sind und diese sind bei jedem Projekt von Anfang an mit eingebunden.
Aber selbst wenn der Datenschutz eingeräumt ist, müssen die Analysen nicht zwangsweise gut sein. Wir möchten Daten nur dann nutzen, wenn die Kunden auch einen Vorteil davon haben.
Als Deutsche Telekom haben wir darüber hinaus den Vorteil, dass unsere Daten nachweislich ausschließlich in unseren eigenen deutschen Rechenzentren verbleiben, das heißt sie unterliegen ununterbrochen dem strengen deutschen Datenschutz.
Data Science Blog: Welche Algorithmen und Tools verwenden Sie für Ihre Anwendungsfälle?
Das hängt natürlich ganz von den Anwendungsfällen ab. Selten deckt ein Tool alleine den kompletten Bedarf ab, daher kombinieren wir in der Regel viele Tools miteinander. Als Programmiersprache setzen wir vor allem auf Scala, R und Python. Für die Infrastruktur nutzen wir aktuell die Hadoop Distributionen von Cloudera und Hortonworks, sowie z.B. Storm, Spark, Datameer, KNIME, Flink und als Cloud-Plattform Pivotal, sowie Tableau zur Datenvisualisierung. Wir versuchen uns stets auf wenige Toolanbieter zu einigen, müssen jedoch auch Kompromisse eingehen, da wir in mehreren unterschiedlichen Ländern arbeiten.
Stellen wir fest, dass notwendige Lösungen noch nicht vorhanden sind, realisieren wir diese selber. Daher können wir auch als eigene Lösungsentwickler betrachtet werden.
Data Science Blog: Woher beziehen Sie Ihr technisches Know-How?
Unser DataLab in Berlin besteht aus 12 Mitarbeitern. Wir arbeiten jedoch eng mit unseren Kollegen von T-Systems zusammen und sind selbst ein An-Institut der Technischen Universität Berlin, aus der wir einen Großteil unserer Kompetenz für Machine Learning schöpfen. Wie entwickeln aber auch Systeme mit der Ben-Gurion-University in Israel und der Berkeley University of California.
Außerdem arbeiten wir bei einigen Anwendungen mit Motionlogic zusammen, einer 100%-Tochter der Deutschen Telekom, die in den T-Labs entstanden ist und sich auf fundierte Analysen von Verkehrs- und Bewegungsströmen spezialisiert hat, die auf anonymen Signalisierungsdaten aus dem Mobilfunk- und WiFi-Netz basieren.
Data Science Blog: Wie stellen Sie ein Data Science Team auf? Und suchen Sie für dieses Team eher Nerds oder extrovertierte Beratertypen?
Ich selbst stehe ganz hinter den Nerds, aber für ein gutes Team braucht es eine Kombination. Neben der analytischen Denkweise ist vor allem die Flexibilität, sich auf neue Themen und Teamarbeit einzulassen, sehr wichtig. Nerds bilden sowas wie einen Kern der Data Science Teams und bringen gute Ideen ein, auf die etablierte Geschäftsleute nicht so leicht kommen. Schafft man es, diese Nerds mit den Kollegen aus den Fachbereichen, beim Customer Analytics also die Marketing-Experten, zusammen zu bringen und dass sie sich gegenseitig anerkennen, dann steht dem Erfolg nichts mehr im Wege.